Nachhaltiges Verhalten ist omnipräsent, auch weil der Begriff Nachhaltigkeit nicht geschützt ist. Nachhaltiges Verhalten ist für die meisten mitteleuropäisch erzogenen Menschen erstrebenswert, wer sägt schon gern an dem Ast, auf dem er sitzt. So weit, so gut – von hier an gehen die Meinungen auseinander.
Inhalt:
1. Disclaimer
2. Wachstum bei begrenzten Ressourcen
3. Sorgearbeit und externalisierte Kosten sind unberücksichtigt
4. Aus dem System lässt sich nicht so einfach austeigen
5. Der richtige Zeitpunkt, um glaubwürdig zu sein – in der Politik und zu Hause
6. Eine Verhaltensänderung lässt nicht zu, dass man etwas weglässt, man kann es nur austauschen
7. Die immer gleiche Reaktion – Kosten werden sozialisiert, Gewinne werden privatisiert
8. Die EU regelt das für uns
9. Das Zauberwort „CO2-Preis“
10. Zuversicht für das eigene Handeln
1. Disclaimer
Warnhinweis: Insbesondere bei dem Versuch, als Nichtpsychologe menschliche Verhaltensweisen zu erfassen, möchte ich den Warnhinweis geben, dass ich hier meine persönliche Meinung darstelle, der alle mir zur Verfügung stehenden, i. d. R. öffentlich zugänglichen und wissenschaftlich fundierten Quellen und eben meine persönliche Biografie zugrunde liegen. Meine persönliche Meinung leitet sich somit im Mix aus der gesteigerten Wahrnehmung dieser Quellen und meinen persönlichen Schlüssen daraus ab.
Uns alle quält hin und wieder das schlechte Gewissen, wir können nicht aus unserer Haut – allein unser Lebensstil in Deutschland (Wohnen, Konsumieren, Mobilität etc.) verschlingt mehr Ressourcen, als die Erde regenerieren kann. Der Earth-Overshot-Day in Deutschland verlagert sich immer weiter zum Jahresanfang (Quelle: Global Footprint Network National Footprint and Biocapacity Accounts 2019). Während es 1970 noch der 29. Dezember war, war es 2022 der 28. Juli und ist es 2024 der 2. Mai. Alles, was daraus an Klimakatastrophen folgt, lag und liegt in unserer Hand als Menschen auf diesem Planeten.
2. Wachstum bei begrenzten Ressourcen
Ein Grund dafür ist unsere industrialisierte und durchdachte Vorgehensweise, in allen Lebensbereichen das Wachstumsnarrativ zu nähren – „wir müssten überall wachsen“. Und wenn wir nicht wüchsen, bedeute dies Stillstand und Verlust. – Das Bruttoinlandsprodukt als Kennzahl unseres Wirtschaftswachstums respektive Wohlstands spiegelt das wider.
Alles Natürliche (außer einem Virus) hört irgendwann auf zu wachsen, der Baum, der Mensch, wäre dies nicht so – es ist nicht vorstellbar (Quelle: https://www.arte.tv/de/videos/104840-007-A/brauchen-wir-wirtschaftswachstum/).
Die Antwort darauf, weshalb wir als menschliche Zivilisation an dieses Narrativ glauben, obwohl unsere natürliche Umgebung zu einem Zeitpunkt X aufhört zu wachsen, wird verbittert umkämpft.
Was bei diesen Betrachtungen in der Vergangenheit keine Beachtung fand, ist die Begrenztheit unseres Systems Erde. Damit ist die Begrenztheit aller Ressourcen und auch aller Selbstheilungskräfte gemeint. Das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für ein Wirtschaftswachstum müsste ergo ausgedient haben, eine Qualitätskennzahl für menschliches Wohlbefinden müsste gefunden werden. Denn für nichts anderes als menschliches Wohlbefinden wirtschaften wir.
3. Sorgearbeit und externalisierte Kosten sind unberücksichtigt
Jedoch tun wir uns in unserem Wirtschaftssystem sehr schwer damit anzuerkennen, dass Mängel wie behobene Umweltschäden und Rüstungsinvestitionen, die sich dort wiederfinden, kein Indikator für Wachstum sein dürften oder dass Sorgearbeit von vielen Menschen bei der Pflege ihrer Angehörigen überhaupt keine Berücksichtigung findet, wie auch die sog. externalisierten Kosten i. d. R. nicht eingepreist sind. Diese Kosten werden von Menschen oder Unternehmen verursacht, aber von der Allgemeinheit getragen. Häufig ist die Entnahme von Ressourcen aus der Natur nicht eingepreist bzw. Umweltschäden werden der jeweiligen Gesellschaft erst später präsentiert. Insofern ist die Internalisierung externer Effekte z. B. über eine CO2-Preis-Steuerung das Gebot der Stunde.
Die Kennzahl des heutigen Bruttoinlandsproduktes ist für die Transformation eines Wirtschaftssystems sogar kontraproduktiv, sie vermittelt den falschen Eindruck. Denn jedes Vorrechnen von Mobilitätskosten für „On-demand-Angebote“ (geförderte Projekte, in denen der ÖPNV, um Angebote ergänzt wird, die auf Anforderung funktionieren und oft Lücken in der „letzten Meile“ oder im „Zubringer“ schließen) müsste seriöser Weise auch die Subventionen in Abzug bringen, die dem Autoverkehr zugedacht werden. Von Straßenausbau bis Dieselsubvention sowie zusätzlich die Ineffizienz, wenn der Einzelne mit seinem Auto allein bequem durch die Welt tuckert und diese damit sachte zerstört. Das sind riesige Summen, die sich die Allgemeinheit leistet.
Und doch wird das subventionierte, oft unausgelastete „On-demand-Angebot“ per Vollkostenrechnung abgeschaltet, weil zu teuer. Der Trick sind die Systemgrenzen, ich kann jedes Angebot in einer Vollkostenrechnung überhöhen und lasse bei anderen Systemen in der Vergleichbarkeit die externalisierten Kosten einfach weg, obwohl sie durch die Gesellschaft bezahlt werden. Die „Methodenkonvention 3.1 zur Schätzung von Umweltkosten“ (Stand 12/2020) des Umweltbundesamtes berechnet für Klimafolgeschäden pro Tonne CO2-Äquivalent Schadenskostensätze, die gemeinsam genutzte Mobilitätsangebote sofort vergünstigen im Vergleich zum günstig gerechneten Individualverkehr. Doch davon liest man wenig, wenn hochgerechnete Angebote abgeschaltet werden sollen. Das scheint so ähnlich zu funktionieren, wie wenn Menschen die Spritkosten von langen Autofahrten vorrechnen, dabei aber die Ersatzinvestitionskosten für die Abnutzung des eigenen PKW vergessen.
4. Aus dem System lässt sich nicht so einfach aussteigen
Doch Systeme wie unsere Wirtschaft, die so komplex ineinander verwoben sind und so lang aufgebaut wurden, sind eben auch nicht so schnell zu verändern. Wir werden feststellen, wie viel Zeit uns dafür noch bleibt.
Psychologisch gehen die Nutznießer des „alten Systems“ sehr erfolgreich vor, denn sie streuen permanent Zweifel an der klaren Botschaft der Wissenschaft, dass der menschengemachte Klimawandel nur mit sofortigen drastischen Reaktionen noch zu verhindern sei.
Der von BP (British Patrol) in den 80gern erdachte CO2-Fußabdruck ist ein Paradebeispiel für so eine „Nebelkerzendiskussion“. Hier hat es BP geschafft nach dem Motto „Kehr erst einmal bitte vor der eigenen Tür“ bzw. was machen eigentlich die Nachbarn da falsch, dass sein Geschäftsmodell nach wie vor unangefochten weiter besteht. Die Dimension der CO2-Entstehung bei Geschäftsmodellen wie fossiler Energieförderung sind nicht auf demselben Graphen ablesbar wie die von Privatpersonen.
Und Themen wie CCS (Carbon Capture and Storage) sind ebenso „Nebelkerzen“, da diese Technologien zwar bekannt sind, aber in keinem realistischen Verhältnis von der Entnahme von CO2 zur Erzeugung von CO2 in diesem System stehen. Die einfache Formel lautet, je mehr Prozesse an der Energieerzeugung und später Verklappung/Entsorgung der unbeliebten Reste beteiligt sind (sollte nicht doch CCS wieder teuer an die Allgemeinheit fallen), desto teurer das Energieprodukt. Übersetzt bedeutet das, sollte jemals CO2-neutraler Sprit produziert werden, der deshalb CO2-neutral ist, weil schon bei seiner Entstehung mit der Entsorgung gerechnet wird, ist er immer teurer als regenerative Energien - immer. Es sei denn, der Verkauf von CO2-neutralem Sprit ist privatisiert und die Entsorgung unter CCS ist sozialisiert (fast so wie beim Atommüll), dann ist er wieder günstiger.
5. Der richtige Zeitpunkt, um glaubwürdig zu sein – in der Politik und zu Hause
Und es stellt sich die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt, ab dem alles bekannt war: Ende der 70er, als man noch glaubte, Zeit zu haben, in den 90ern und 2000ern oder heute, wo viele glauben, es ist nun schon wieder vorbei und zu spät. Das ist eine gute Frage.
Die Zeit scheint einer der Ursachen für die Unglaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu sein. Der Mensch reagiert auf drohende Gefahren mit Kampf oder Flucht. Aber eine Gefahr, die sich so langsam nähert wie der Klimawandel, scheint den Effekt des Frosches im kochenden Wasser zu nähren. Während er bei zu heißem Wasser sofort wieder hinausspringen würde, bleibt er bei langsamer Erwärmung im Wasser, bis er stirbt. Wir schieben die Gedanken weg, die Gefahr ist keine richtige Geschichte, der Menschen folgen oder zuhören können, denn es gibt keinen Anfang und bislang kein Ende.
Es ist eine Wette der Politik, die unbequemen notwendigen Verhaltensänderungen entweder ganz früh zu platzieren oder so weit hinauszuschieben, wie es in einer Legislaturperiode eben geht. Die Wette bezieht sich auf den nun häufiger werdenden Fall, dass die Klimawissenschaftler regelmäßig vor der Jahrhundertflut warnten – also jährlich. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass entweder der Glaube da ist, die Politik und Allgemeinheit würde schon einspringen, wenn es hart auf hart kommt oder dass es eben schon zu spät sei, noch etwas zu tun.
6. Eine Verhaltensänderung lässt nicht zu, dass man etwas weglässt, man kann es nur austauschen
Alle anderen müssen ihr Verhalten nicht ändern, denn sie sehen die Folgen nur in den Nachrichten und sind deshalb keiner direkten Betroffenheit ausgeliefert. Weiter so in der Aufmerksamkeitsökonomie. Einzig so manche Politiker*innen ahnen, dass die Routine der Katastrophen beginnt, der Vergesslichkeit der Wähler ein Schnippchen zu schlagen. Nach der Flut ist vor der Flut. Und so werden Rufe laut, eine Elementarschaden-versicherungspflicht einzuführen, wie sie in Frankreich mit 98% eine starke Verbreitung findet (Stand Juli 2024). Die Versicherungen würden so über das marktwirtschaftliche Preisprinzip im Detail und vor Ort ausloben können, was noch versicherbar ist und was nicht. Nachteil ist natürlich, dass durch das Solidarprinzip die Allgemeinheit beginnt, für individuelle Abenteuer einzustehen. Ich vermag nicht zu sagen, welche Summen konkret hier im Raum stehen – kann mir aber vorstellen, dass die Dimension der Schäden zukünftiger Klimafolgen unterschätzt wird innerhalb so einer Solidarforderung, bei der alle für Einzelne zahlen sollen. In naher Zukunft wird es nach meinem Dafürhalten eine erste Versicherung gibt, die Insolvenz anmelden muss und es wird sich die Frage stellen, ob dies – ähnlich den Banken in der Bankenkrise 2008 – nun als systemrelevant staatlich gestützt werden muss.
7. Die immer gleiche Reaktion – Kosten werden sozialisiert, Gewinne werden privatisiert
Letztlich gibt es immer die gleiche Reaktion auf diese angekündigten Wetterereignisse, die Folgen werden sozialisiert, während die Gewinne zuvor privatisiert wurden. Das geht nicht mehr lange gut aufgrund der planetaren Grenzen – ist aber sehr gut erforscht worden. Warum die Menschen so agieren, lässt sich mit der Tragik der Allmende oder dem Güterspiel aus der Spieletheorie wunderbar erklären. (Quelle und Information: https://www.zdf.de/show/mai-think-x-die-show/maithink-x-folge-07-100.html)
Das spannende ist bei dieser Tragik der Allmende, dass die Menschen immer bereit sind, etwas zu geben. Sie jedoch in dem Moment, wenn sie feststellen, dass sie übervorteilt wurden, sauer werden. Nicht, wenn oder weil sie etwas geben sollen. Und hier liegt unsere Chance, denn im Grunde ist der Mensch gut. Er wird nur leider in unserer heutigen Zeit durch Macht korrumpiert - siehe auch „Im Grunde gut“ von Rutger Bregmann. Und so liegt denn auch der Schluss nahe, dass nur übergeordnete Institutionen die Themen für die Gesellschaft regeln können und nicht der/die Einzelne.
8. Die EU regelt das für uns
Insofern verbietet sich jedes EU-Bashing, sie ist die einzige Institution, die aus großer Entfernung/Höhe mit dem Green Deal dafür sorgt, dass das System beginnt, sich langsam zu drehen und so unsere Lebengrundlagen erhält. Das tut die EU weitsichtig und gewohnt bürokratisch, aber immer noch nachhaltiger und langfristig geplanter als die freiwillige Selbstverpflichtung so mancher Appelle an die Menschen vor Ort, die dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, mit einem Schulternzucken der Politiker quittiert wird. Welcher deutsche Verkehrsminister der letzten Jahrzehnte hatte die Größe, einzugestehen, dass er auf das „falsche Pferd“, also das Auto, und nicht auf die Bahn gesetzt hat. Er würde immer argumentieren, dass es aus seiner Sichtweise und mit seinen Entscheidungsspielräumen das „richtige Pferd“ war. Dem steht allerdings der Dieselskandal mit seinen riesigen Dimensionen und seiner in keinem Krimi ausgesponnenen Arglist entgegen.
9. Das Zauberwort „CO2-Preis“
Der europaweite Emissionshandel wird sukzessive auf die verschiedensten bisher ausgenommenen Wirtschaftszweige wie Gebäude- und Verkehrssektor (ab 2027) ausgebaut. Natürlich ist dies eine Kunstwelt mit dem Versuch, bisher nicht eingepreiste externalisierte Kosten einzupreisen. Bislang ist es, zusammen mit einem sozialen Ausgleich (persönliches Klimabudget), die schlaueste Idee, im bestehenden System einen Wandel auszulösen.
Wenn jetzt noch bisherige fossile Subventionen (z. B. Kerosin, Diesel), abgebaut würden, ließe sich umsteuern und Geld frei machen, die Abkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu unterfüttern. Das Klimageld würde Menschen mit geringem CO2-Ausstoß belohnen, andere müssten es sich bewusst leisten wollen. Wir haben hier noch nicht über eine andere Besteuerung gesprochen, welche soziale Arbeit als großen Unterstützungsfaktor für menschliches Wohlergehen anders bewertet als bisher. Es ist aber nach meinem Dafürhalten, die einzige Methode, dem Klatschen vom Balkon langfristig Taten und Geld fließen zu lassen.
Und doch wird es einige Geschäftsmodelle geben, die es zukünftig nicht schaffen – das ist auch klar.
10. Zuversicht für das eigene Handeln
Und trotz aller Widerstände und langer Wege sind die in Angriff genommen Aktivitäten des Green Deals der EU oder die zunehmende Einpreisung bisher unsichtbarer Kosten durch den Emissionshandel gute Aussichten für die kommenden Jahre.
Im Großen – wie es ausführlich geschildert – und im Kleinen, wenn wir in unserem Umfeld anfangen, den ersten Schritt zu tun mit allem, was wir an ressourcenschonenden Alltäglichkeiten (Wertstofftrennung, Wasser- und Energiesparen, private Kleinstmobilität per Fahrrad, persönliche Suffizienz) kennen. Wir Menschen brauchen das: Aktives Handeln für eine persönliche Belohnung unseres Tuns bringt Zufriedenheit. Vertrauen in die eigene Kraft und in andere Menschen sowie das Handeln für eine gemeinsame Sache bringen Zuversicht. Ich freue mich drauf.
Zuversichtliche Grüße,
Rolf Weinkauff am 24.07.2024
Comentários